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KI in der digitalen Arbeitswelt – Drei Thesen

Beitrag von Tobias Kämpf, Institut für sozialwissenschaftliche Forschung e.V.

Produktionshallen, Logistikzentren, Vertriebs- und Personalabteilungen, Versicherungsbüros, Kundencenter oder Krankenhäuser: Künstliche Intelligenz (KI) hält immer mehr Einzug in unser Arbeitsleben. Berufsbilder und die Organisation von Arbeit wandeln sich, Jobs fallen weg, neue entstehen. Die Gestaltung von KI in der Arbeitswelt wird so zu einer der entscheidenden Zukunftsfragen in der digitalen Transformation. Mit unserem neuen Forschungsprojekt humAIn work lab nehmen wir diesen Wandel in den Blick. Unserem Projekt liegen drei Thesen zu Grunde – die wir erstmals auf der LABOR.A 2020 vorgestellt haben und auch hier gerne zur Diskussion stellen möchten.

These 1 – KI und der Umbruch in der Wirtschaft

Daten sind der strategische „Rohstoff“ der digitalen Transformation. KI wird zum entscheidenden Werkzeug, mit dem Menschen aus diesen Daten nützliche Informationen und echte Gebrauchswerte machen können.

Wir erleben derzeit einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Ökonomie. Der Aufstieg des Internets zum global verfügbaren und omnipräsenten Informationsraum treibt die Informatisierung der ganzen Gesellschaft immer weiter voran. Vergleichbar mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wird so eine neue Phase des Wirtschaftens eingeläutet. In einer neuen Informationsökonomie werden Daten zum Dreh- und Angelpunkt der Wertschöpfung. KI erweist sich in diesem Umbruch als ein „game-changer“. Denn KI ist der Schlüssel und das strategische Werkzeug dafür, die gigantischen Datenberge, die in einer digitalen Welt ununterbrochen entstehen, überhaupt sinnvoll nutzen zu können. Nur wer es beherrscht, aus diesen Daten konkrete Innovationen, echte Gebrauchswerte und Geschäftsmodelle zu machen, wird sich auch in Zukunft an der Spitze der Wertschöpfungssysteme halten können. Lehrreich ist dafür der rasante Aufstieg von Tesla zum teuersten Automobilkonzern der Welt. Das Geheimnis hinter dem Erfolg sind die Fahrzeug-Daten, die die gesamte Flotte des Unternehmens ununterbrochen im Realbetrieb erzeugt. Tesla nutzt diese Daten konsequent, um damit permanent seine Algorithmen zu trainieren und die Funktionalitäten seiner Autos laufend zu verbessern und weiter zu entwickeln. Deshalb ist man bei entscheidenden Innovationen – wie dem autonomen Fahren oder der Batteriesteuerung – den Konkurrenten heute weit überlegen.

These 2 – KI und der Wandel von Arbeit

KI wird in der Arbeitswelt vor allem als Mittel zur Rationalisierung und Kostensenkung vorangetrieben. Das ist das falsche Leitbild. Denn es droht die Einstellung auf eine neue Phase der Digitalisierung zu blockieren.

Während die Bedeutung von KI für neue datenbasierte Geschäftsmodelle auf der Hand liegt, wird man ernüchtert, wenn man den Blick in die Arbeitswelt selbst wirft. Denn die Suche nach Anwendungsmöglichkeiten von KI für die Veränderung und Weiterentwicklung der Arbeitsprozesse ist weitaus weniger inspirierend und beschränkt sich in der Praxis nicht selten auf das einfache Ziel der Kostensenkung. Das große Schlagwort ist Automatisierung und die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft – zum Beispiel durch sogenannte Bots, wie wir sie alle wahrscheinlich schon einmal als Nutzer eine Hotline erlebt haben. Und in der Tat eröffnen sich mit KI gerade in der Welt der Büros und auch in hochqualifizierten Bereichen der Wissensarbeit ganz neue Rationalisierungspotenziale – die man bisher eher aus der Fabrik und der Welt der „blue-collar work“ kannte. Unsere Forschung zeigt, dass die damit verbundene Vision „digitaler Fließbänder“ bei den Menschen völlig zu Recht zu Ängsten, Skepsis und Unsicherheit führt. Viele fragen sich: Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Was wird aus meiner Tätigkeit? Und kann ich in Zukunft überhaupt noch eigene Entscheidungen treffen – oder gibt das dann alles die Maschine und der allmächtige Algorithmus vor? Zugespitzt formuliert: Mit dieser Leitorientierung und einer einseitigen Fokussierung auf Kostensenkung wird es schwierig, in den Belegschaften Begeisterung für die digitale Transformation zu wecken und dieses Jahrhundert-Projekt gemeinsam in der Arbeitswelt voranzutreiben.

These 3 – KI braucht Empowerment 

Eine menschenzentrierte Gestaltung von KI braucht eine neue Vorwärtsstrategie. Leitstern für den Einsatz von KI sollte die Steigerung von Handlungsfähigkeit und die Verbesserung der Arbeitsqualität der Menschen sein.

Wir brauchen deshalb dringend einen Perspektivwechsel: Menschenzentrierte Gestaltung kann nicht nur heißen, das „Schlimmste zu verhindern“ – sondern es muss darum gehen, mit KI Arbeit besser zu machen, die Handlungsmöglichkeiten im Arbeitsprozess zu erweitern und die Fähigkeiten der Menschen zu steigern. Zugegeben: Es mag auf den ersten Blick überraschen, KI und Empowerment zusammenzubringen. Vor allem, wenn man einer Debatte folgt, in der es vor allem darum geht, dass KI-gesteuerte Maschinen den Menschen Entscheidungskompetenzen „wegnehmen“ sollen. Interessant ist jedoch, dass man im ganz normalen Alltag und in der Lebenswelt viele sehr nützliche KI Anwendungen findet, die sich kaum auf den einfachen Nenner „Automatisierung“ reduzieren lassen. Persönlich bin ich zum Beispiel fasziniert von meinem KI-gestützten Rennrad-Navi. Auf Knopfdruck spuckt mir das Gerät beliebige Routen aus – aber nicht auf der vielbefahrenen Bundesstraße, sondern auf kleinsten, aber wunderbar asphaltierten Nebenstraßen. Während des ersten Lockdowns im Frühjahr (als ich wie viele andere auch mit dem Rennradfahren überhaupt erst begonnen habe) hat sich dadurch meine Handlungsfähigkeit wirklich sprunghaft erweitert: Ohne diese (geniale) App hätte ich wahrscheinlich viele Jahre im Verein trainieren müssen, um mir dieses Wissen anzueignen und all diese Schleichwege kennen zu lernen. Auch in der Arbeitswelt brauchen wir dringend solche Beispiele. Gefragt sind Leuchttürme, die eine Vision von Empowerment vermitteln und aufzeigen, wie man mit KI die Arbeit für die Menschen verbessern kann. Das heißt freilich auch, dass wir aufhören müssen, betroffene Belegschaften als bloßes Objekt von Veränderung zu behandeln. Empowerment bedeutet, die Beschäftigten von Anfang an – zum Beispiel schon in der Strategieentwicklung – aktiv in KI-Projekte einzubinden und so zum Treiber und Gestalter neuer Arbeitswelten zu machen.

Was daraus folgt: Mit KI jetzt die richtige Richtung einschlagen 

Letztlich stellen uns die neuen Möglichkeiten von KI in der digitalen Transformation vor eine doppelte Herausforderung. Auf der einen Seite müssen wir den Umbruch hin zu einer Informationsökonomie bewältigen. Auf der anderen Seite geht es um die Richtung dieser Transformation. Wir stehen hier an einem Scheideweg: Gelingt es uns, die Potenziale von KI in Richtung von Humanisierung und Empowerment zu entfalten, oder drohen umgekehrt eine neue Qualität von Beherrschung und die Vision digitaler Fließbänder zur neuen Realität in Arbeit und Gesellschaft zu werden?

Zum Projekt

Das Projekt humAIn work (Laufzeit: 07.09.2020 bis 06.09.2023) wird im Rahmen der INQA-Förderrichtlinie „Zukunftsfähige Unternehmen und Verwaltungen im digitalen Wandel (EX-PKI)“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter dem Dach der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gefördert. Unter Federführung des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. (ISF) München beteiligen sich die INPUT Consulting gGmbH, IBM Deutschland GmbH, Deutsche Telekom Service GmbH und MICARAA GmbH sowie ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft an dem Projekt.

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Inhalte dürfen ausschließlich unter Angabe der Quelle verwendet werden:

Kämpf, Tobias (2020): KI in der digitalen Arbeitswelt – Drei Thesen. Online verfügbar unter https://idguzda.de/blog/ki-in-der-arbeitswelt/ [02.12.2020].

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