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Wie zukunftsfähig ist die deutsche Automobilindustrie?

Beitrag von Frederik Haug, Institut für sozialwissenschaftliche Forschung e.V.
Mitarbeit: Andreas Boes

 

Zwischen ökologischer Wende, Digitalisierung und Softwarekompetenz – Wie zukunftsfähig ist die deutsche Automobilindustrie?

 

Die deutsche Automobilindustrie steht vor einem grundlegenden, mehrdimensionalen Wandel: Ökologische Herausforderungen, Digitalisierung und neue Wettbewerber aus der Tech-Branche stellen das etablierte Erfolgsmodell der Autobauer in Frage (siehe dazu Boes/Ziegler 2021). Über Zustand, Perspektiven und die drängenden Probleme des führenden deutschen Industriezweigs sprach Prof. Dr. Andreas Boes im Rahmen der bidt-Veranstaltung „Tesla ante portas – Wie zukunftsfähig ist die deutsche Automobilindustrie?“ mit einer Reihe von Expertinnen und Experten, darunter Dr. Oliver Blume (Porsche AG, VW), Anja Hendel (diconium GmbH), Christoph Bornschein (TLGG GmbH), Birgit Dietze (IG Metall) und Prof. Dr. Manfred Broy (TU München).

Um zu erkennen, wie radikal sich die Branche der Autoindustrie weltweit wandelt, genügt ein Blick auf die Erfolgsgeschichte des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla. Noch vor ein paar Jahren von den Vorständen der etablierten Konzerne mit einem müden Lächeln abgetan, gibt das US-Unternehmen in Sachen Elektromobilität mittlerweile mit den Ton an, und das in einer Zeit, in der aufgrund der sich zuspitzenden ökologischen Krise Elektrofahrzeuge gefragt sind wie nie zuvor. Doch nicht nur im Bereich der Elektromobilität setzt Tesla Maßstäbe, die Marke steht für ein ganz neues Verständnis des Autos, das die Softwarekomponente des Fahrzeugs in den Mittelpunkt der Produktion stellt und damit sinnbildlich für die Digitalisierung der gesamten Industrie steht.

Wie kann unter diesen Vorzeichen die Zukunft klassischer Autobauer aussehen? Und was ist eine angemessene Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen? Dr. Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender bei Porsche und Vorstandsmitglied bei VW, machte unmissverständlich deutlich, dass man sich des Ausmaßes der Veränderung in der Autoindustrie mittlerweile bewusst sei: „Es geht in der Transformation nicht nur um technische Fragen, sondern auch um wirtschaftliche und kulturelle.“ Als Antwort auf die Klimakrise verspricht Blume für die Marke Porsche eine CO2-neutrale Produktion bis 2030 über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg und eine Elektrifizierung des Produktportfolios von 80% zum selben Zeitpunkt. Was die Entwicklung der Digitalisierung sowie die Konkurrenz aus den USA betrifft, sehe er die Herausforderungen, neue Wertschöpfungsschwerpunkte zu finden, die auch in Zukunft profitabel sind. Bei Porsche habe man sich entschieden, weiterhin auf die eigenen Stärken in der Ingenieurskunst zu setzen und diese mit Softwarekompetenz zu komplementieren. So werde Porsche in zehn Jahren einen Anteil von 75% des Geschäfts im traditionellen Automobilbereich machen und zu 25% neue Geschäftsfelder anvisieren. Zu letzteren gehöre vor allem die Entwicklung eines eigenen Betriebssystems, das mit den Applikationen der Tech-Konzerne kompatibel ist.

Das disruptive Potenzial einer softwarebasierten Produktionsweise

Trotz all der beschriebenen Maßnahmen schien ein Teil der Expertinnen und Experten an der Zukunftsfähigkeit der strategischen Ausrichtung der Autokonzerne zu zweifeln. Vor allem Prof. Manfred Broy von der TU München und Christoph Bornschein, CEO bei der TLGG GmbH, vertraten, dass das Ausmaß des Wandels, insbesondere was die Softwareentwicklung anbelangt, weiterhin verkannt werde. Broy kritisierte etwa, dass der Großteil der wirtschaftlichen und politischen Entscheider die Digitalisierung nur als eine zunehmende Integration von digitalen Anwendungen in bestehende Hardwarestrukturen begreife. „Die Software tickt anders“, meinte Broy hingegen und verwies auf die völlig neuen Geschäftsmodelle, die eine softwarebasierte Produktionsweise ermögliche, sowie auf das disruptive Potential, das die Nutzung neuer Technologien für die Märkte und die Gesellschaft als ganze aufweise.

Gefangen im alten Denken – müssen sich Autobauer zu Tech-Konzernen wandeln?

Auch für Christoph Bornschein scheint die Autoindustrie gefangen in ihrem maschinenbauzentrierten Denken. Dieser Umstand erschwere, dass die Konzerne gegenüber Softwarefirmen und Start-ups konkurrenzfähig bleiben und zukünftig den richtigen Wertschöpfungsschnitt finden. Die Suche nach neuen Profitquellen könnte für die Industrie also zur Zerreißprobe werden. Bornschein jedenfalls vermutet Wertschöpfungspotenziale der Zukunft zum einen in der Kombination aus Softwaresystemen und bestimmten Fertigungsschwerpunkten und zum anderen in der Integration des Automobils als Element eines smarten Energienetzwerks.  

Den Autokonzernen steht nach solchen Aussagen augenscheinlich der Zwang zu einem strukturellen Wandel bevor, an dessen Ende Unternehmen wie VW oder BMW eher heutigen Tech-Konzernen ähneln würden, wollten sie nicht ihre Position als Weltmarktführer verlieren. Anja Hendel von der diconium GmbH sieht es in diesem Zusammenhang jedenfalls als notwendig an, dass die Autokonzerne eine andere Organisationsform finden, die sowohl ein hohes Niveau an Hardwarefertigung als auch an Softwareentwicklung zulasse. Ihr zufolge sind die Konzerne noch zu sehr in den alten bürokratischen Strukturen der industriellen Fertigung verhaftet, die gerade für die Softwareentwicklung allerdings nicht mehr effizient erscheinen.

Ökologischer Umbau und Mobilitätsplattformen – welche Bedeutung haben Autos in Zukunft noch?

Porsche setzt für den Erfolg der Zukunft wiederum auf die Erschließung neuer Zielgruppen. Das Unternehmen fokussiert sich hier insbesondere auf junge und vor allem weibliche Bevölkerungsgruppen. Doch auch ein sich abzeichnender Wertewandel im Zuge der Klimakrise könnte für das Zielgruppenspektrum der Autoindustrie von entscheidender Bedeutung sein, wie Birgit Dietze, Bezirksleiterin der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, verdeutlichte: „Die Frage für die Autoindustrie wird sein: Wie bewertet die junge Generation ihre zukünftigen Lebenschancen und welche Anforderungen stellt sie an diese?“

Damit brachte Dietze die Frage in die Runde, welche Rolle Autos in Zukunft in einer nachhaltigen Mobilitätsstruktur überhaupt noch spielen. Dass die Behauptung des Autos gegenüber anderen Verkehrsmitteln keine ausgemachte Sache ist, wurde während der Podiumsdiskussion mehrfach deutlich: Während Dr. Oliver Blume an der künftigen Bedeutung des Autos festhielt, plädierte Birgit Dietze für eine komplexere Betrachtung der Mobilitätsfrage, die das Zusammenwirken verschiedener Verkehrsträger ins Auge fasst. Doch nicht nur aus ökologischer Sicht könnte die Bedeutung des Pkw abnehmen, auch im Hinblick auf neue Geschäftsmodelle, gerade was aufkeimende Mobilitätsplattformen anbelangt, scheint es möglich, dass der Verkehr in ein paar Jahrzehnten deutlich anders aussehen wird. Wenn aber die Bedeutung des automobilgetriebenen Individualverkehrs abnehme, so Prof. Broy, drohten die etablierten Autokonzerne zu reinen Zulieferern für Plattformbetreiber zu werden.

Qualifizierung, Innovationen und Nachhaltigkeit – Künftige Erfolgsfaktoren der Automobilindustrie

Angesichts derartiger Szenarien gilt es zu fragen, welche Faktoren der Automobilindustrie weiterhin Erfolg sichern könnten. Gerade in diesem Bezug war sich ein Großteil der Diskussionsrunde einig. Anja Hendel verwies beispielsweise auf die enorme Bedeutung von Qualifizierungsmaßnahmen. Softwarekompetenz müsse in den Unternehmen gezielt aufgebaut werden. Prof. Broy forderte, gerade auch die industrielle Führungsriege in die Verantwortung zu nehmen, die zum einen die Möglichkeiten der neuen Technologien erkennen müsse und zum anderen den fachfremden Softwareentwicklern auch innerhalb eines Autokonzerns angemessene Karrieremodelle bieten solle.

Anja Hendel und Birgit Dietze waren sich darin einig, dass es einen Wandel der Unternehmenskultur brauche, der durch neue Arbeitskonzepte und -umgebungen die richtigen Voraussetzungen für die stärkere Implementierung der Softwareentwicklung schafft. Daneben fiel in der Diskussion mehrfach die Forderung nach einem neuen Innovationsenthusiasmus. Dr. Oliver Blume plädierte etwa für die Rückgewinnung eines Pioniergeists, der sich ihm zufolge vor allem in Form von Unternehmensgründungen zeigt. Birgit Dietze gab zu bedenken, dass es enormes Risikokapital und demzufolge ein gestreutes Investieren über viele Wachstumsfelder hinweg brauche, um Start-ups Erfolgschancen zu ermöglichen. Auch der Aspekt der Nachhaltigkeit müsse berücksichtigt werden, indem beispielsweise auf umweltschädliche Rohstoffe verzichtet werde.

Den Wandel sozial nachhaltig gestalten

Schließlich ging es in der Diskussion noch um einen Aspekt, der für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von enormer Bedeutung zu sein scheint: die Rolle der zahlreichen Beschäftigten der Automobilindustrie innerhalb der gegenwärtigen Transformation. Einhellig war das Panel der Meinung, dass die Menschen mitgenommen werden müssen, auch um weder die Akzeptanz für die enormen Veränderungen noch den innerbetrieblichen Zusammenhalt aufs Spiel zu setzen. In dieser Hinsicht, so Anja Hendel, sei man in der deutschen Autoindustrie aber bereits auf einem guten Weg, da hier die Mitarbeitenden, anders als etwa in den aufstrebenden Tech-Konzernen, bereits häufig mitgedacht würden. Dass es in diesem Zusammenhang auch um den Aspekt der Mitbestimmung gehen muss, verdeutlichte wiederum Birgit Dietze. Sie war es auch, die mehrmals die Situation der Zulieferer hervorhob, die mehr noch als die großen Autokonzerne enorme Schwierigkeiten hätten, sich strategisch auf die Zukunft einzustellen, und an denen nicht zuletzt eine enorme Anzahl an Beschäftigten hänge. Der Verweis auf die Zulieferindustrie versinnbildlicht somit nicht nur die Komplexität der aktuellen Herausforderungen, sondern auch das Ausmaß der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aufgabe. In diesem Sinne zeigte sich die Podiumsdiskussion als eine vielschichtige Annäherung an die zahlreichen Problemstellungen des Wandels der Automobilindustrie.

 

[Boes/Ziegler (2021). Forschungsbericht -Umbruch in der Automobilindustrie]

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