Die digitale Transformation in der Post-Corona-Phase aus gesellschaftlicher Sicht
Beitrag von Andreas Boes für den Münchner Kreis am 14.05.20
Coronakrise als Stresstest
Ich finde, die Coronakrise ist ein regelrechter Stresstest für den Reifegrad der digitalen Transformation in der Gesellschaft. Es lohnt sich also, eine erste Bilanz zu ziehen und einige Fragen zu stellen. Wo stehen wir? Welche Lehren lassen sich für die weitere Gestaltung der digitalen Transformation mit Blick auf die Entwicklung der Gesellschaft ziehen? Ich habe mich in Vorbereitung dieser Veranstaltung gefragt: Was hat mit Blick auf die digitale Transformation in der Coronakrise wirklich überrascht und was war erwartbar?
Was mich nicht überrascht hat
Was mich überhaupt nicht überrascht hat, waren die Dinge, die nicht funktioniert haben – das hatte ich genau so erwartet. Mich hat nicht überrascht, dass Schulen und Universitäten lieber den Betrieb einstellen als zu versuchen, ein Onlineangebot zur Verfügung zu stellen. Mich hat auch nicht überrascht, dass Unternehmen eher Kurzarbeit anmelden als den Betrieb in Homeoffice fortzuführen, obwohl das theoretisch möglich gewesen wäre. Weiterhin hat mich nicht überrascht, dass die Infrastruktur von Bundesministerien zusammenbricht, wenn alle versuchen, Homeoffice zu machen und der Minister eine Videobotschaft an sie senden will.
Was mich wirklich überrascht hat
Was mich allerdings wirklich überrascht hat war, dass die Menschen die Erfahrung gemacht haben, welchen Nutzen die digitale Transformation für sie selbst und für die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt haben könnte – das ist wirklich neu! Denn in Deutschland diskutieren wir die Digitalisierung vor allem als eine technische Angelegenheit und nicht als eine soziale Umwälzung. Die Rede ist von Robotern, Computern, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz. Und mit Blick auf die Gretchenfrage: „Wie hältst du es mit der Technik?“ ist die Gesellschaft gespalten in Technikoptimisten und Technikskeptiker. Zwischen beiden Lagern droht eine lähmende Blockade.
Die Nutzung des Informationsraums
Das hat sich in der Coronakrise tatsächlich geändert. Was ist da passiert? Statt sich über das Für und Wider der Technik zu streiten, haben die Menschen den Informationsraum, der mit dem Internet entstanden ist, endlich einmal praktisch genutzt – Und siehe da, vieles klappte besser als gedacht.
Zusammenarbeit ist plötzlich ohne Büro im Homeoffice möglich. Darin steckt ein Ansatz für mehr Zeitsouveränität und weniger CO2. Die neue Homeofficestudie des bidt ist hier sehr aufschlussreich. Innovative Lehrer entwickeln neue Lehr- und Lernkonzepte für den Onlineunterricht. Darin steckt ein Ansatz, Lernen in der Schule und den Hochschulen im Wechsel von Online und Offline neu zu denken. Und Chatlisten helfen Familien und Freundeskreisen auch im Lock-down zusammen zu stehen.
Der Informationsraum wird zum wichtigsten Ort, um Informationen zu erhalten, sich eine Meinung zu bilden und sich mit Menschen auf der ganzen Welt darüber auszutauschen. Diese Entwicklungen wurden meist nicht von oben verordnet, sondern von unten, von den Menschen einfach gemacht. Meist sind es Einzelne oder kleine Gruppen, die die Initiative ergriffen haben.
Eine neue Phase der digitalen Transformation
Die zentrale Erfahrung war: Physical Distancing ist eben nicht zwingend Social Distancing – dieser Unterschied ist vielen Menschen in der Coronakrise klar geworden. Das halte ich für das wichtigste Learning hinsichtlich der digitalen Transformation.
Die Coronakrise macht deutlich, dass wir längst eine neue Phase der digitalen Transformation erreicht haben. Diese dreht sich um den Informationsraum, der auf der Basis des Internets entstanden ist. In diesem großen Feldversuch der Coronakrise haben sich die Menschen einen neuen Zugang zur Digitalisierung erschlossen. Es wurde deutlich, dass wir uns auf Basis des Internets einen neuartigen sozialen Handlungsraum geschaffen haben. Die Welt findet nun auf zwei miteinander verschachtelten Bühnen statt.
Die Frage für die weitere Gestaltung der digitalen Transformation ist: Wie nutzen wir diesen neuartigen sozialen Handlungsraum im Wechselspiel zur physischen Welt zum Wohle der Menschen? Blended ist hier das neue Modewort.
Push ja, aber nicht unbedingt Fortschritt
Was bedeutet nun all das für die Zukunft in der Post-Corona-Phase? Klar ist: Die #Coronakrise wird der #Digitalisierung einen enormen Push verleihen – das bedeutet aber nicht, dass wir dadurch wirklich vorankommen in der Gesellschaft.
Ich sehe die manifeste Gefahr, dass dieses zentrale Learning der Coronakrise schnell wieder verschütt geht, wenn der Lock-down beendet ist. Wenn der Ausnahmezustand vorbei ist, werden die gleichen Entscheiderinnen und Entscheider, die die Schulen und Hochschulen geschlossen haben, statt neue Lernkonzepte zu fördern, mit der Anforderung konfrontiert sein, mehr für die Digitalisierung zu tun. Aussitzen, wie vorher, können sie die Sache nicht mehr. Es besteht Handlungsdruck! Aber mit der Methode „Viel hilft viel!“ werden wir keinen Fortschritt erreichen.
Digitalisierung neu denken!
Nach der Coronakrise müssen wir die digitale Transformation neu denken. Die Krise wird die Gesellschaft mit Blick auf die Digitalisierung nur voranbringen, wenn wir den absehbaren Push mit einem Paradigmenwechsel verbinden.
Die Digitalisierung sollte darauf gerichtet sein, den Informationsraum für die Erweiterung der Entfaltungsmöglichkeiten der Menschen zu nutzen. Online ist das neue Normal und das Leben findet in Zukunft auf zwei ineinander verschachtelten Bühnen statt. Die digitale Transformation auf ein neues Gleis zu bringen heißt für mich also, das soziale Leben im Zusammenspiel der beiden Handlungsräume zum Wohle der Menschen zu gestalten.
Das ist für mich die zentrale Lehre aus der Coronakrise mit Blick auf die Digitalisierung.
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Inhalte dürfen ausschließlich unter Angabe der Quelle verwendet werden:
Boes, Andreas (2020): Die digitale Transformation in der Post-Corona-Phase aus gesellschaftlicher Sicht. Online verfügbar unter https://idguzda.de/blog/digitale-transformation-post-corona/ [28.05.2020].
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