Digitalisierung und Zukunft der Arbeit – Bericht von der Auftaktveranstaltung des MCIR
In den altehrwürdigen Sälen im Nordostflügel der Münchner Residenz empfing Karl-Heinz Hoffmann, Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, am Montagabend die zahlreich erschienenen Gäste zur ersten öffentlichen Veranstaltung des Munich Center for Internet Research (MCIR). Stellvertretend für das Board des MCIR stellte Prof. Alexander Pretschner von der TU München das neu gegründete Institut an diesem Tag erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Der Anspruch des Boards ist kein geringerer als es zu einem Leuchtturm der deutschen aber auch der internationalen Forschung zum Thema Internet und Gesellschaft zu machen. In originär interdisziplinär konzipierten Projekten soll der epochale gesellschaftliche Umbruch, der mit dem Aufstieg des Internets einhergeht, erforscht werden, um darauf aufbauend in kontinuierlichem Austausch mit Politik, Zivilgesellschaft und Bevölkerung konkrete Vorschläge zu seiner nachhaltigen Gestaltung zu erarbeiten. Das MCIR nimmt damit an der bundesweiten Initiative des BMBF zur Einrichtung eines deutschen Internet-Instituts teil, legt allerdings bereits im Vorfeld ein hohes Aktivitätsniveau an den Tag.
Denn die Veranstaltung markierte zugleich die Eröffnung der Vortragsreihe „Internet und Gesellschaft“, im Rahmen derer das MCIR in diesem Jahr international renommierte Internetforscher nach München holen will. Den Auftakt bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema „Digitalisierung und Zukunft der Arbeit“. Geladen waren Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, Thomas Sattelberger, ehem. Personalvorstand der Deutschen Telekom, Prof. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering und Felix Haas, Internetunternehmer und Investor in der Startup-Szene – allessamt Experten, deren unterschiedliche Sichtweisen auf dieses Thema eine anregende Debatte versprach. Die Moderation übernahm Alexandra Borchardt, Chefin vom Dienst, bei der Süddeutschen Zeitung.
In ihren Eingangsstatements entwickelten die Experten ihre Perspektive auf den digitalen Umbruch. Christiane Benner sieht in der Digitalisierung großes Entwicklungspotenzial für die Gesellschaft, mahnt aber an, dass der Mensch im Fokus stehen müsse: Arbeit 4.0 brauche einen Sozialstaat 4.0. Thomas Sattelberger zeigte sich besorgt um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wer erst fünfzehn Jahre nach dem Durchbruch von Amazon auf die Idee komme, einen Ausbildungsberuf E-Commerce einzuführen, verschlafe die Entwicklung. Weder blinder Technikoptimismus noch Technikpessimismus sei Prof. Dieter Rombach zufolge in der gegenwärtigen Situation angebracht. An der Zeit sei vielmehr eine Versachlichung der Diskussion, um Chancen nutzen und Risiken minimieren zu können. Gründer Felix Haas sieht den digitalen Umbruch nicht nur mit einer rosaroten Brille und zeigte sich angesichts der Rasanz der Veränderungen nachdenklich. Einig waren sich die Diskutanten bei der Einschätzung der Tragweite des gegenwärtigen Umbruchs. In den Worten von Prof. Dieter Rombach „stehen wir vor der größten technischen Revolution aller Zeiten“.
Der Boden war bereitet für eine lebhafte Diskussion, an der sich frühzeitig neben den Zuschauern im vollbesetzten Saal auch die Internetnutzer, die die Veranstaltung via Livestream verfolgten, beteiligen konnten. In den Diskussionsbeiträgen wurde die enorme Breite des Themas Digitalisierung und Zukunft der Arbeit deutlich. Die Veränderungen der Digitalisierung und der Verbreitung des Internets durchziehen schlichtweg alle gesellschaftlichen Felder. So spannte sich die Diskussion von der Landwirtschaft, wo es mittlerweile möglich ist, drei Mähdrescher auf einmal zu steuern und durch den Einsatz von mit Sensoren bestückten Drohnen und Datenanalysen den Düngemitteleinsatz effizienter zu gestalten, bis hin zur Herausforderung des demografischen Wandels. Besonders intensiv wurde zum Thema Bildung in der digitalen Arbeitswelt debattiert. Welche Qualifikationen werden künftig gefordert sein? Welche Jobs fallen weg? Welche Chancen ergeben sich? Alle waren sich einig, dass an dieser Stelle großer gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht. Vor allem in den Schulen müsse frühzeitig eine Sensibilisierung der Kinder für die Internetnutzung erfolgen – neben Lesen, Schreiben und Rechnen die vierte Grundkompetenz der modernen Gesellschaft. Gleichzeitig wurde deutlich, dass zu vielen Fragen noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, um tatsächlich nachhaltige Lösungen finden zu können.
Zum Abschluss der Diskussion formulierten die Podiumsteilnehmer ihre Wünsche an das frisch aus der Taufe gehobene MCIR. Christiane Benner appellierte daran, die Forschungsfragen am MCIR konsequent vom Menschen her zu entwickeln. Die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen solle ein Kernanliegen der künftigen Forschungsvorhaben sein. Thomas Sattelberger drängte darauf, dass das MCIR nicht zu einem weiteren toten Elfenbeinturm in der akademischen Landschaft verkommen dürfe. Entscheidend aus seiner Sicht wird es sein, dass die Agilität, die Vernetzung und die Geschwindigkeit zu einem Kernelement der Arbeitsweise des MCIRs avancieren und dass ein lebendiger Dialog mit der Internet-Community gestiftet wird. Prof. Dieter Rombach erhofft sich, dass wichtige Leerstellen der Forschung gefunden und bearbeitet werden können, um nicht zuletzt die Sicherheit digitaler Systeme zu erhöhen. Zugleich sieht er die Rolle des MCIRs vor allem auch darin, einer Versachlichung und Rationalisierung der gesellschaftlichen Diskussion zum digitalen Umbruch Vorschub zu leisten. Mit seiner Forschung könne das MCIR hier einen wichtigen Beitrag zur Bildung eines gesellschaftlichen Konsenses erwirken. Felix Haas hegt die Hoffnung, dass der Spirit der Auftaktveranstaltung trägt und das MCIR auch in Zukunft ein Forum bietet, in dem Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zusammenfinden und sich über Maßnahmen zur Gestaltung des digitalen Wandels verständigen können.
In ihren abschließenden Kurzstatements griffen die beiden Boardmitglieder Prof. Thomas Hess und PD Dr. Andreas Boes, die zugleich das Vorprojekt „Neue Organisations- und Führungskonzepte in digitalen Arbeitswelten“ leiten, die von den Experten vorgebrachten Impulse auf. Das MCIR will sich diesen Herausforderungen stellen und in einer sich immer rasanter entwickelnden Welt, agile interdisziplinäre Forschung mit Breitenwirkung zu betreiben und dabei aktiv in den Dialog mit den Menschen zu treten.
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IdGuZdA Autorenkollektiv (2016). Digitalisierung und Zukunft der Arbeit – Bericht von der Auftaktveranstaltung des MCIR. Online verfügbar unter https://idguzda.de/veranstaltungsberichte/digitalisierung-und-zukunft-der-arbeit-bericht-von-der-auftaktveranstaltung-des-mcir/ [17.02.2016].
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