Frauen im Silicon Valley: Was ist die Hälfte von allem?
In Deutschland ist in den letzten Monaten viel über die Situation von Frauen in der kalifornischen Tech-Branche berichtet worden. Gemeinsamer Tenor dabei ist: Das Silicon Valley ist gar nicht so leistungsgerecht und egalitär, wie es sich gerne gibt, sondern hat ein ziemliches Frauenproblem: Denn etwa 80% der technischen Mitarbeiter in der Tech-Branche sind Männer und zugleich liegt die Jobabbrecherinnen-Rate bei Frauen bei über 50%.
Gewinnt hier also eine digitale Arbeitswelt Konturen, die Frauen von vornherein nicht berücksichtigt?
Wir sind erst einmal überrascht über die Vielzahl von Frauen, die uns in den Kantinen und auf den Fluren der Tech-Unternehmen des Silicon Valleys begegnen. Und wir haben das Glück, mit einigen von ihnen auch sprechen zu können. Schnell kommt man in diesen Gesprächen auf die Frage, wie das Verhältnis von Arbeit und Leben austariert werden kann und ob ein „Leben“ in dieser rasanten digitalen Arbeitswelt des Silicon Valleys überhaupt denkbar ist? Die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort ist dabei ein zentrales Thema. Und hier bietet die Digitalisierung natürlich erst einmal neue Chancen: Sie macht es möglich, dass Arbeitszeiten und Arbeitsorte entkoppelt werden können, dass man flexibel von Zuhause „remote“ arbeiten kann und dadurch zumindest prinzipiell mehr Gestaltungsfreiheit hat. Aber wie sieht ist es in der Realität aus?
Interessant ist ein Gespräch mit einer Softwareingenieurin, die mehrere Kinder hat und nur an zwei Tagen in der Woche ins Unternehmen kommt. Die restliche Zeit arbeitet sie nämlich von Zuhause aus. Die neuen technischen Möglichkeiten erlauben es, dass sie dennoch ständig mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kontakt ist. Selbst die „Daily Stand-ups“ leitet sie als Srcum-Masterin von Zuhause aus. Diese Flexibilität ist für sie sehr wichtig und war das entscheidende Auswahlkriterium für ihre Arbeitgeberwahl vor zehn Jahren. Das ging nicht nur ihr so: wir sind erstaunt zu hören, dass der Frauenanteil in ihrem Team bei über 50% liegt. Und: Alle anderen Teammitglieder weisen sogar eine längere Betriebszugehörigkeit als sie auf. Sicherlich steckt dahinter auch ein „verständnisvoller Chef“, wie sie sagt. Aber ist das „nur“ die berühmte Ausnahme von der Regel, oder vielleicht doch eine Arbeitsmarktstrategie für Unternehmen im „War for Talents“ hier im Valley?
Auf die Frage, welche Relevanz Teilzeit für sie und ihre Kolleginnen spielt, hat sie jedoch nur ein müdes Lächeln übrig: „Teilzeit macht keinen Sinn. Denn was ist die Hälfte von allem?“ Wenn der Arbeitstag kein definierten Anfang und kein definiertes Ende hat, bedeutet Teilzeit nur einen freiwilligen Verzicht auf Geld. Wer morgens mit Europa und abends mit Indien telefoniert, wer alles daran setzt, ein kritisches Projekt „in time“ erfolgreich zu finalisieren, kann sich kleine Unterbrechungen während des Tages zwar erlauben, nicht aber einen geregelten „Feierabend“. Ist permanente Verfügbarkeit also der Preis, den man hier für eine relative Ortssouveränität zahlen muss?
Orts- und Szenenwechsel: Es gibt kein einheitliches Silicon Valley, sondern mehrere und damit auch unterschiedliche Arbeitsrealitäten. Wir sind am nächsten Tag bei einem hippen und coolen Start-Up-Unternehmen, das mit viel Kreativität, Reflektion und mit noch mehr Geld darauf setzt, eine einzigartige „Employee Experience“ zu kreieren. Dazu gehört natürlich auch hochwertiges und kostenloses „organic Food“, und das Mitbringen von Hunden ist hier nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Man darf aber auch Freunde und Verwandte zum Essen mitbringen oder zu einem Kaffee einladen, es gibt viele verschiedene themenbezogene Gruppen, mehrmals die Woche werden Yogakurse angeboten … Also ziemlich viel Leben für ein Bürogebäude, oder?
Die Kehrseite: Natürlich wird erwartet, dass die Beschäftigten vor Ort an diesem Angebot und dieser Unternehmenskultur partizipieren – es wäre ja sonst auch irgendwie schade darum. „Flexibles Arbeiten ist prinzipiell möglich“, so eine Managerin, die wir vor Ort treffen. Allerdings sei die Arbeit in einem Start-Up so intensiv, dass man die Mannschaft eigentlich vor Ort brauche. Dabei spielt das Thema Diversität in diesem schnell wachsenden Start-Up durchaus eine Rolle, so z.B. bei den Einstellungen. Die Frage des „Retainments“ ist allerdings etwas, das man mit Blick auf Frauen erst in zukünftigen Entwicklungsstufen angehen möchte, dafür würden noch die organisatorischen Strukturen fehlen. Und so sehen wir auch hier sehr viele Frauen, aber wir treffen vor allem auf sehr junge Frauen.
Offensichtlich gilt: Dieses Modell kann für jüngere Frauen durchaus sehr attraktiv sein, das gilt aber nicht für alle Frauen. Wir gewinnen den Eindruck, dass vor allem Frauen in der Familienphase es hier sehr schwer haben und sich bewusst Nischen suchen müssen, so wie unsere Softwareingenieurin oben.